- Jungsteinzeit: Ackerbauern und Viehzüchter
- Jungsteinzeit: Ackerbauern und ViehzüchterIm Verlauf seiner langen Entwicklung begann der Mensch erst spät mit Bodenbau und Tierhaltung, auch wenn uns diese beiden entscheidenden Errungenschaften als von der Natur vorgegebene Arbeiten erscheinen. Während der gesamten Altsteinzeit, von den Anfängen der Menschheit bis vor etwa 10000 Jahren, das heißt mehr als 99 % ihres Daseins, waren unsere Vorfahren Jäger und Sammler; sie lebten in kleinen Gruppen, schlossen sich für seltene Unternehmungen — etwa für die Großwildjagd — zu größeren Verbänden zusammen und ernährten sich mittels der »aneignenden Wirtschaftsweise« von wild wachsenden Pflanzen sowie einem reichhaltigen tierischen Angebot. Da die Bevölkerung sich nicht wesentlich vermehrte, bewahrte sie das Gleichgewicht der natürlichen Umwelt, war Teil der Natur.Mit der Einführung von Bodenbau und Tierhaltung, das heißt einer »produzierenden Wirtschaftsweise«, veränderte sich vor etwa 10000 Jahren das Dasein des Menschen grundlegend. Mit dem Wechsel von der aneignenden zur produzierenden Wirtschaftsweise, mit dem wir den Beginn der Jungsteinzeit, des Neolithikums, markieren, kam es zu der entscheidenden Veränderung in der gesamten Geschichte des Menschen überhaupt. Mit dem Anbau von Getreide konnte er nun planen, sein Leben steuern; er legte Vorräte an, war an den Ort der Äcker und der Vorratshaltung gebunden, musste nicht stets seine Lager wechseln, sondern konnte feste Siedlungen bauen; der Mensch wurde sesshaft. Diese umfassende Umstellung der Lebensweise hatte natürlich auch gewichtige Konsequenzen in der gesamten Kultur: Mit dem Pflanzenanbau war die Entwicklung zahlreicher neuer Werkzeuge verbunden, mit der festen Siedlungsweise entstanden neue Technologien für den Hausbau, und schließlich wurden jetzt auch feste Gefäße aus Keramik hergestellt.Die produzierende Wirtschaftsweise konnte fast beliebig intensiviert und damit auch eine größere Bevölkerung ernährt werden, die wiederum größeren Landbedarf hatte. Dies führte zu einer für damalige Verhältnisse schwerwiegenden Bevölkerungsexplosion, die wir archäologisch klar erkennen können. Da nun aber auch der Besitz des Bodens, nicht nur die Nutzung der darauf lebenden Tiere und Pflanzen wie in der Zeit davor wichtig war, kam es gewiss auch zu Konflikten zwischen größeren Gruppen. Die neue Siedlungsweise in festen Dörfern bedingte natürlich auch die Entstehung neuer sozialer Organisationsformen, vor allem von Dorfgemeinschaften, denen ein Dorfältester vorstand.Es ist einsichtig, dass diese Veränderungen das gesamte kulturelle, aber auch kultisch-magische Leben prägten. Der Zyklus angebauten Getreides (Säen, Wachsen, Reifen, Ernten), der sich im Lebensablauf Geburt, Werden, Tod wiederfindet, bestimmte das religiöse Denken. Davon zeugen nicht nur die üppigen Statuetten der »Großen Mutter«, deren Tradition noch in dem altorientalischen Kult weiterlebt, sondern auch zahlreiche Fruchtbarkeitssymbole.Es ist nicht einfach, diese tief greifende Umwälzung, die oftmals irreführend als »neolithische Revolution« bezeichnet und in ihrer Bedeutung mit der industriellen Revolution des 18. und 19. Jahrhunderts verglichen wurde, zu bewerten. Auf der einen Seite scheint es uns undenkbar, dass die Einführung der produzierenden Wirtschaftsweise, die in der Folge für die gesamte Geschichte des Menschen die (Ernährungs-)Grundlage bildet, nicht als Erleichterung und Fortschritt zu bezeichnen ist; andererseits wissen wir, dass es sich um eine vom Klima ausgehende, von vielen Zufällen gelenkte, ungewollte Entwicklung handelte, in die der damalige Mensch wohl unwissend »hineinrutschte«. Pflanzenanbau bedeutet keineswegs eine Erleichterung des Lebens, denn der Jäger und die Sammlerin kannten wesentlich sicherere und vielfältigere Strategien der Nahrungsbeschaffung. Bei Naturkatastrophen konnten sie sehr viel besser auf andere Nahrungsquellen ausweichen, während der Bauer von dem Gelingen der Ernte abhängig wurde. Auch bringt eine jägerische und sammlerische Bevölkerung weniger Zeit für die Suche nach der Nahrung auf, der Bauer arbeitet dagegen länger und auch härter.Das Geschehen und das Umfeld, in dem sich die erste »Neolithisierung« abspielte, lassen sich heute in großen Zügen gut nachzeichnen, wenn auch die Gründe vielfach hypothetisch bleiben und wir von Modellvorstellungen ausgehen müssen. Diese Errungenschaften finden sich eingebettet in eine lange und einsichtige Entwicklung, deren Anfänge im Vorderen Orient, in einer Zone, die wir den »Fruchtbaren Halbmond« nennen, am Rande der großen Flusstäler liegen. Wir kennen dort schon im 11. Jahrtausend v. Chr. mittelsteinzeitliche (mesolithische) Kulturen, die sich allein durch Sammeln der dort vorkommenden Wildgräser von den entsprechenden mitteleuropäischen Wildbeuterkulturen unterscheiden. Sie entwickelten sich ohne wesentliche kulturelle Veränderungen kontinuierlich aus den jungpaläolithischen Kulturen. Wichtig ist dabei die Beobachtung, dass diese mesolithischen Kulturen im Bereich des Zagrosgebirges (Shanidar) und in der Levante (vor allem das Natufien) einen Trend zur Spezialisierung zeigen: Gejagt wurden vor allem Wildziege und Gazelle, die pflanzliche Nahrung bestand besonders aus gesammeltem Wildgetreide, dessen Verarbeitung durch die reichhaltige Reibsteinindustrie belegt wird.Diese noch rein wildbeuterische Entwicklungsphase zeigt gerade im Bereich der Levante eine beachtliche kulturelle Entfaltung, die etwa durch ausdrucksvolle Plastiken dokumentiert wird. Es sind auch alle später domestizierten Tierarten belegt, jedoch konnte bis heute kein eindeutiger Beweis für einen planmäßigen Pflanzenanbau erbracht werden. Wir nennen diesen Abschnitt deshalb die Stufe der Erntekulturen.Ihr folgt in der 2. Hälfte des 9.vorchristlichen Jahrtausends eine Entwicklungsstufe, in der nun der Übergang zum Anbau der ersten Getreidearten stattgefunden haben muss, die aber sehr schlecht belegt ist. Bekannt ist die viel zitierte Siedlung Jericho mit der eindrucksvollen Architektur, wovon beispielsweise der heute noch 8,5 m hohe Turm zeugt. Diese Phase wird als Proto-Neolithikum bezeichnet.Erst in der 2. Hälfte des 8. Jahrtausends v. Chr. wird die Entwicklung klarer. Durch neueste Ausgrabungen sind zahlreiche Siedlungen von erstaunlichen Ausmaßen bekannt geworden. Der Pflanzenanbau ist nun gut belegt, nachweisen lässt sich die Domestikation von Schaf und Ziege. Als Jagdtier dominiert weiterhin die Gazelle. Es fehlt aber noch die Keramik, sodass wir diese Entwicklungsphase als prä- oder akeramisches Neolithikum bezeichnen können. Die Bodenfunde belegen hier ein erstaunliches Kulturniveau. Die Siedlungen weisen ungewöhnliche Ausmaße auf; sie sind etwa in Abu Hureira oder Ain Ghazal über 10 ha groß, bargen also mehrere Zehntausend Einwohner. Eine Ahnung von den komplexen religiösen Vorstellungen der damaligen Zeit mögen die mit Lehm ausmodellierten Schädel geben, die einzeln oder in regelrechten Nestern in den Häusern bestattet wurden, oder lebensgroße Statuen, die in Gruben begraben waren.Wir wissen heute, dass es neben dem Vorderen Orient auch andere Zentren der Neolithisierung gab, die andere Grundlagen hatten, aber weniger umwälzend waren und unabhängig von der Entwicklung im Vorderen Orient erfolgten. Lediglich in China und in Südostasien, wo die neolithische Umwälzung ebenfalls durch Anbau von Körnerfrüchten wie Hirse und Reis eingeleitet wurde, erfolgte ein vergleichbarer kultureller Ablauf, der später zu den dortigen Hochkulturen führte. Anderswo waren genügend Sammelfrüchte vorhanden, sodass man nicht vom Anbau abhängig wurde und trotzdem andere Errungenschaften des Neolithikums wie z. B. Sesshaftigkeit und Keramik entwickelte, wie etwa in Japan oder im Neolithisierungszentrum in der Zentralsahara.Die Ausbreitung der neolithischen WirtschaftsweiseDie neolithische Wirtschaftsweise entwickelte sehr bald eine Eigendynamik und breitete sich gegen Ende des 8. Jahrtausends v. Chr. mit großer Expansionskraft nach Osten ins Industal und nach Westen ins anatolische Hochland aus. Eine weitere Welle führte von der südlichen Levante über Ägypten und den Mittelmeerraum bis nach Nordafrika. In Anatolien kennen wir die früheste Stufe nur ausschnittweise durch vereinzelte gut erforschte Siedlungen, unter denen Çayönü Tepesi (um 7000 v. Chr.) als ein besonders wichtiger Fundort herausragt. Die Ernährungsgrundlage bildete der einfache Anbau von Getreide sowie die Kleintierhaltung von Schaf und Ziege. Besonders überraschend war der Fund von Metallgeräten aus gediegenem Kupfer. Noch erstaunlicher als Çayönü ist die in die 1. Hälfte des 7. Jahrtausends v. Chr. gehörende Siedlung von Çatal Hüyük in Südanatolien.Mit dem keramischen Neolithikum, das überall im Vorderen Orient um 6500 v. Chr. begann, setzte schließlich eine ausgewogene bäuerliche Kultur ein, die nicht mehr durch einzelne herausragende Monumente repräsentiert wird; man lebte nun in gleichförmig gebauten Dörfern mittlerer Größe, wobei jedes Haus eine Wirtschaftseinheit darstellte. Die Keramik, zu Beginn noch formarm und schlecht bemalt, erreichte im 6. Jahrtausend v. Chr. eine hervorragende Qualität und einen einzigartigen künstlerischen Ausdruck, wie etwa in der Halafkultur im oberen Mesopotamien oder der Hacɪlarkultur in Westanatolien. Überall im Vorderen Orient finden wir jetzt voll entwickelte neolithische Kulturen mit allen dazugehörigen Elementen, nämlich Pflanzenanbau, Tierdomestikation, Sesshaftigkeit und Vorratshaltung.Die frühen Bauernkulturen in SüdosteuropaDie produzierende Wirtschaftsweise breitete sich anfänglich nur zaghaft aus. Zunächst drang, wie gesehen, das akeramische Neolithikum bis nach Anatolien vor, von dort wurde dann die voll entwickelte bäuerliche Kultur nach Griechenland und Südosteuropa übertragen. Zwar wurden für dieses Gebiet lange Zeit auch akeramische Stufen postuliert, doch dürfte es sich hierbei nach neuen Forschungen lediglich um fundarme vollneolithische Befunde handeln.Als erste wichtige archäologische Kultur kennen wir aus Nordgriechenland die Protosesklokultur, der in Bulgarien die Karanovo-I- und in Serbien die Starčevokultur entspricht. Es handelt sich bei diesen um regionale Ausprägungen eines großen Kulturkreises, der in wirtschaftlicher und soziokultureller Hinsicht recht einheitlich ist. Die rein agrarische Struktur dieser Kultur wird vor allem durch die Lage der Siedlungen bezeugt. In fruchtbaren Schwemmlandbecken, deren Böden höchste Erträge erlauben, zeigt die an die Neuzeit erinnernde dichte Besiedlung eine intensive Nutzung. Die meist regelmäßig quadratisch und sehr eng gebauten Häuser hatten eine genormte Einrichtung. Dem Eingang gegenüber lag die Herdstelle mit Kuppelöfen und einer Handmühle zu jeder Seite sowie einem erhöhten Lehmpodest, das wohl als Schlafstelle diente. Die Häuser waren aus getrockneten Lehmziegeln gebaut und wurden oft erneuert, sodass das Dorf allmählich »hochsiedelte« und die charakteristischen, aus der flachen Ebene herausragenden Siedlungshügel entstanden, die im Vorderen Orient und in Bulgarien als »Tell«, in Griechenland als »Magula« bezeichnet werden.Die in den Ausgrabungen in diesen Tell-Siedlungen zum Vorschein gekommenen Funde sind größtenteils Keramikfragmente mit einem einheitlichen Formenspektrum, das letztendlich für den Archäologen das Kriterium darstellt, um die Zusammengehörigkeit der regionalen Gruppen zu beurteilen. Die flaschenartigen Gefäße sind alle nach einem klaren, einheitlichen Formprinzip gebildet. Besonders aufschlussreich ist die Bemalung der Keramik. Während in der Frühzeit um die Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. nur ein roter Überzug verwendet wurde, kam sehr bald eine reiche Bemalung mit weißer, auch dunkelbrauner Farbe hinzu. Es sind ausschließlich einfache geometrische Muster, die dem Gefäßaufbau folgen, verwendet worden. Während die übrigen Funde wie Steinbeile, Silexgeräte, Knochen- und Hirschgeweihwerkzeuge, die meist die agrarische Tätigkeit bezeugen, dem üblichen neolithischen Formenspektrum entsprechen, sind die zahlreichen weiblichen Tonstatuetten von größerem Interesse, geben sie doch Einblicke in das religiöse Denken des damaligen Menschen. Es sind meist schlicht gestaltete Figürchen mit großen Brüsten und breiten Hüften, der Kopf ist nur schemenhaft angedeutet. Ganz selten finden sich dazu auch männliche Figuren, die ebenso schlicht geformt sind. Auch diese Darstellungen gehören in den Zusammenhang mit einem agrarischen Fruchtbarkeitskult wie die schon erwähnten Statuetten aus dem Vorderen Orient.Der Protosesklokulturkreis, den wir gesamthaft als Phase der bäuerlichen Kolonialisierung bezeichnen möchten, ist in sozioökonomischer Hinsicht recht einheitlich. Alle Belege deuten auf einen intensiven Anbau der einfachen Getreidearten Emmer und Einkorn sowie von Linsen und wenigen weiteren Hülsenfrüchten hin. An Tieren wurden vornehmlich Schaf und Ziege gehalten, das Rind kommt seltener vor. Die Jagd spielte nur eine untergeordnete Rolle. Die Häuser, in denen kaum mehr als eine Kleinfamilie lebte, sind alle einheitlich gebaut, sodass man von einer egalitären Gesellschaftsstruktur sprechen kann.Anders wird das Bild dann in der nächsten Phase, die eine deutliche Regionalisierung des großen Kulturkreises zeigt. Sie gehört in die 2. Hälfte des 6. vorchristlichen Jahrtausends. Zwar ist auch in dieser Zeit die soziokulturelle Entwicklung in ganz Europa ziemlich gleichförmig, doch ist der innere Zusammenhang der verschiedenen Kulturen nicht mehr so deutlich, zu verschieden sind die regionalen Stile. So wächst, um nur die wichtigsten beiden archäologischen Kulturen dieser Phase zu nennen, im griechischen Raum aus der Protosesklokultur die eigentliche Sesklokultur heraus, im Gebiet des heutigen Serbien entsteht die Vinčakultur. Auch andere Regionen wiesen eine ähnliche Entwicklung mit selbstständigen, jedoch weniger bekannten archäologischen Kulturen auf, z. B. der bulgarische (Veselinovokultur) und der rumänische Raum (DudeÇti- und Boiankultur). Überall zeigt sich, dass die agrarische Struktur gefestigter und die Organisation der Gesellschaft komplexer wird. Dies zeigt sich in erster Linie an den Plänen der größer gewordenen Dörfer. Es gibt nun Unterschiede im Aufbau, die Häuser sind auch größer und meist mehrräumig; oft zeichnen sich auch Bauten ab, die als »Häuptlingshäuser« oder als Heiligtümer zu deuten sind. Die Dörfer wurden mit einer Befestigung von Wall und Graben umgeben.Auch wenn Gräber, die durch ihre Beigaben die soziale Stellung des Toten und damit die Sozialstruktur der Gesellschaft erkennen lassen würden, immer noch weitgehend fehlen, so können wir doch aus dem Vorhandensein von unterschiedlichen Idolen, Prestigeobjekten oder aus dem strukturierten Siedlungsplan schließen, dass die Gesellschaft in dieser Zeit nun schon stärker gegliedert war. Es muss kompetente Instanzen, z. B. Häuptlinge oder »Chiefs«, gegeben haben, die sowohl die umfangreichen agrarischen wie auch die handwerklichen Tätigkeiten regelten. Diese Personen hatten auch den Bedarf, ihren Status zu manifestieren, das heißt, es entstand ein Bedarf an Prestige- und Machtsymbolen. Dies bedeutet aber auch, dass die Gesellschaft, wie wir weiter unten noch genauer sehen werden, nun derart differenziert worden war, dass sie auch für die Entwicklung der Metallurgie vorbereitet und ein Bedarf für die an sich schon bekannte und in wenigen Objekten belegte Kupferproduktion vorhanden war.Diese Phase der Regionalisierung ist auch in einer anderen Hinsicht für die gesamte Entwicklung von Bedeutung, denn sie ist Ausgangspunkt für die weitere Neolithisierung Europas. Im nordwestlichen Ausbreitungsgebiet des Protosesklokulturkreises, am Randbereich der Starčevokultur, entstand in Transdanubien, das heißt im Bereich des heutigen Westungarn, in der Zeit des Übergangs von der Starčevo- zur Vinčakultur zu Beginn der beschriebenen Phase der Regionalisierung die Linearbandkeramik.Frühe Bauernkulturen in MitteleuropaVerantwortlich für die Neolithisierung des mitteleuropäischen Raumes ist die Kultur mit Linearbandkeramik, kurz »bandkeramische Kultur«. Mit ihr wurde die produzierende Wirtschaftsweise vom Donaubecken bis ins Pariser Becken gebracht. Ihre Entstehung, die wir in die Mitte des 6. Jahrtausends datieren, ist noch schwer zu verstehen. Für Südosteuropa haben wir oben den Protosesklokreis, der dort das Neolithikum eingeführt hat, kennen gelernt. Nun entwickelte sich an seiner Peripherie eine neue, ebenfalls große und einheitliche erste neolithische Kultur, die Linearbandkeramik, die sich dann in sehr gleichförmiger Ausprägung in Europa verbreitete. Sie hat außer der neuen Wirtschaftsform wenig gemeinsam mit der Starčevokultur, aus der sie abgeleitet wird. Die weite Ausbreitung, die sehr schnell und mit großer Expansionsenergie erfolgte, war sicherlich auch mit Wanderungen von Menschengruppen verbunden, vielfach handelte es sich aber lediglich um eine Übertragung von Ideen, indem einheimische Bevölkerungen neolithisiert wurden.Die Bandkeramik ist eine in ihrer weiträumigen Verbreitung sehr uniforme Kultur, deren Fundinventar zwischen Transdanubien und dem Rhein stets gleichförmig und in gleicher Zusammensetzung vorkommt. Es ist eine ungewöhnlich einheitliche Kultur. Ihre Verbreitung überzieht ganz Mitteleuropa und folgt den großen Flüssen Donau, Rhein, Seine, Saale, Elbe und Weichsel. Dabei werden bevorzugt Löss oder gute Lehmböden besiedelt, also für Ackerbau günstige Landschaften. Dies bedeutet, dass man gezielt für die neue Wirtschaftsweise geeignete Gebiete ausgesucht hat, dass wir in den Bandkeramikern agrarische Pioniere sehen dürfen. Entsprechend ist auch der Siedlungsbau. Zunächst wurden Einzelhöfe gegründet, erst später entwickelten sich daraus Dörfer. Die Häuser, im Wesentlichen aus mit Lehm verkleidetem Flechtwerk bestehend, waren alle nach einem festen Schema gebaut. Es handelte sich um 20—30 m lange, nach Nordwesten ausgerichtete Bauten mit drei Einheiten: einem Wohn- und Schlafbereich, einem Arbeitsbereich und einem Stall- und Speicherraum. Jedes Haus war damit eine selbstständige Wirtschaftseinheit. Wenn mehrere Dörfer zu einem Dorf zusammengeschlossen wurden, umgab man dieses mit Wall und Graben oder Palisaden. Es gab auch »Erdwerke«, mehr oder weniger rechteckige, mit Wall und Graben eingefasste Flächen, die man als Versammlungs- oder Kultorte deutet.Zu jedem Dorf gehörte ein Friedhof — z. T. umfassen sie bis zu 200 Gräber —, auf dem die Toten in Hocker- oder Schlafstellung, das heißt mit angezogenen Beinen, auf der linken Seite liegend bestattet wurden. Für den Weg ins Jenseits erhielten sie ihre persönliche Ausstattung, Schmuck, Waffen und einige Geräte mit, aber auch Nahrung, wie wir aus Tierknochenresten wissen. In einigen Siedlungen wurden auch holzverschalte Brunnen entdeckt, die von großem handwerklichem Können zeugen. So hat der erst vor kurzem ausgegrabene Brunnen von Erkelenz in Nordrhein-Westfalen dank des vorzüglichen Erhaltungszustandes sehr detaillierte Angaben über seinen Aufbau und die Umwelt geliefert. Er war mehr als 15 m tief, bestand aus einer Art Blockbau und wurde mit Brettern verschalt. Diese erlauben mittels der Dendrochronologie eine Datierung auf 5090—5050 v. Chr.Die Keramik hat meist dunkles Aussehen, besteht aus einfachen Formen und weist eine eigenwillige, charakteristische Verzierung auf; auf der gesamten Oberfläche der Feinkeramik sind spiralförmige Bänder, oft punktgefüllt mit verschiedenen Randmustern eingeritzt. Daneben gibt es auch große Vorratsgefäße mit dicken Henkelösen, in denen wohl Getreide oder Wasser aufbewahrt wurde. Tier- und Menschendarstellungen deuten kultische Vorstellungen an, Gefäße mit Tierköpfen erinnern an die frühneolithischen Figuren auf dem Balkan und im Vorderen Orient.Interessant sind außerhalb der Friedhöfe zu findende Ansammlungen von menschlichen Knochen. So konnte man in der Jungfernhöhle von Tiefenellern in Franken Knochen von 38 Individuen ausgraben, die Schnittspuren aufwiesen, also nach dem Tode in irgendeiner Weise bearbeitet worden sind. In Talheim bei Heilbronn hat man kürzlich ein Massengrab gefunden, in dem 34 Skelette lagen, die alle Spuren von Axt- und Beilhieben zeigten. Man kann diesen Fund kaum anders deuten, als dass hier bei einem Überfall oder in einer Strafaktion ein ganzes Dorf eliminiert wurde und die Überlebenden dann ihre Angehörigen bestattet haben. Wir kennen in der Urgeschichte zwar nur wenige derartige Beispiele von Aggression, es zeigt aber, dass wir diese Zeit durchaus nicht als harmonische, friedvolle Periode verklären sollten.In Mitteleuropa verlief die Entwicklung insgesamt analog zu der in Südosteuropa. Auch hier folgte auf die einheitliche, frühneolithische bäuerliche Kolonisation eine Phase der Regionalisierung, in der die gemeinsame Formenbasis in verschiedenen Landschaften unterschiedlich variiert wurde. Dies kommt vor allem in dem Keramikstil zum Ausdruck, womit angedeutet wird, dass es sich um formale regionale Unterschiede handelt, während die gesamte archäologische Kultur sich überall recht ähnlich äußert und als bandkeramische Nachfolgekultur zu erkennen ist. Dies zeigt sich schon am Hausbau: Es sind immer noch ungewöhnlich lange Bauten mit gleicher Bauweise, der Grundriss wird jetzt aber trapez- oder schiffsförmig, und der Innenraum ist nicht mehr unterteilt. Dies bedingt eine andere Lastenverteilung für das Dach, das nun im Wesentlichen von einer doppelten äußeren Pfostenreihe getragen wird. Auch die Dörfer stehen ganz in bandkeramischer Tradition, doch ist eine weitere »Verdorfung« unverkennbar: Die Siedlungen werden größer und sind stärker konzentriert.Größere Veränderungen deuten die Belege zur Wirtschafts- und Sozialstruktur an. Nach einer Krise in der Versorgung zu Ende der linearbandkeramischen Entwickung erholte sich die Gemeinschaft relativ schnell und reagierte mit einer stärkeren inneren Struktur. Es bildeten sich herausgehobene Gruppen oder »Clans«, die sich durch ein reiches Grabgut, bestehend in üppigen Fleischbeigaben und Prestigeobjekten, auszeichnen. Bekannt sind vor allem die Gräber der Hinkelsteinkultur zu Beginn dieser mittelneolithischen Phase.Es entspricht einer inneren Logik der beschriebenen Entwicklung, dass sich die keramischen Stile während der Phase der Regionalisierung immer mehr aufsplittern und wir am Ende des Mittelneolithikums eine Vielzahl von kleinen Gruppen vorfinden, die eine kennzeichnende gemeinsame Form, den Kugelbecher, aufweisen. Diese Kugelbechergruppen, die in der 2. Hälfte des 5.Jahrtausends v. Chr. existierten, gehören zu den zwar viel diskutierten, aber kaum ausreichend belegten archäologischen Kulturen. Wir kennen lediglich Abfallgruben und Gräber aus dieser Zeit.Der Ablauf der Geschichte erfolgte nicht in langsamer, sich allmählich verändernder Differenzierung, sondern mit Fortschritts- und Stagnationsphasen. Es gibt nicht selten einen Kulturwandel, der sich zwar allmählich ankündigt, die fundamentalen Veränderungen aber relativ schnell vollzieht und damit neue Entwicklungsstufen einleitet. Einen derartigen Kulturwandel kann man zum Ende des 5. Jahrtausends v. Chr. beobachten. Nach einer nasskalten Phase änderte sich um 4200 v. Chr. das Klima, für wenige Hundert Jahre bestimmte nun ein wärmerer Abschnitt das Geschehen. In dieser Zeit wurde das mitteleuropäische Neolithikum auf neue Grundlagen gestellt. Es fanden eine Anpassung und Konsolidierung der Wirtschaft und Kultur statt, es wurden neue Siedlungssysteme entwickelt und die weit reichende Kommunikation intensiviert. Angeregt durch Einflüsse aus dem Südosten, änderte sich die Keramik grundlegend. Ein neues vielfältiges Formenspektrum bestimmt das Bild. Es gibt jetzt auch Henkelgefäße und Krüge. Anfänglich waren die Gefäße zum Teil reich geometrisch verziert, später dominierte die dunkle, gut geglättete Oberfläche, lediglich plastische Aufsätze zierten dann die Gefäße. Die neuen Formen sind natürlich nicht nur Ausdruck einer neuen Mode, sondern sind auch in neuen Essensgewohnheiten begründet. Dieser tiefer liegende, nicht nur als stilistische Veränderung zu verstehende Kulturwandel wird auch durch neues Symbolgut wie Kupferfunde oder Verzierungsmotive in Form weiblicher Brüste belegt.Die Besiedlung erschloss jetzt neue Gebiete. Weiterhin wurden Dörfer in kleineren Tälern errichtet, erstmals nun aber auch die Seeufer belegt. Die dort angelegten, heute z. T. noch gut erhaltenen Pfahlbauten prägen das Bild. Daneben sind auch Höhensiedlungen nicht selten, zusammen mit den zahlreichen belegten Erdwerken dokumentieren sie die Vielfalt der damaligen Siedlungsmöglichkeiten. Auch die Wirtschaft ging neue Wege. Zu den bisherigen charakteristischen Weizensorten kam Saatweizen hinzu, der überall dominant wurde. Die Tierhaltung wurde vielfältiger, die Artenverteilung ausgewogener. All dieses bedeutet, dass die Wirtschaft nicht mehr nur wenige, ganz spezielle Arten kennt, sondern bewusst die Produktion den Gegebenheiten anpasst. Dies bedeutet auch eine intensive Auseinandersetzung und Nutzung der Umwelt. Dazu passt die gezielte Suche und Verwendung von bevorzugtem Rohstoff; so gibt es erst jetzt größere Abbaustellen von Silex, der weiträumig verhandelt wird. Das Gleiche gilt von besonderem, über Kulturgrenzen hinweg getauschtem Felsgestein.Diese Zeit, gekennzeichnet durch erneute und breite Adaption der Wirtschaft an die Umwelt sowie durch eine Konsolidierung der mitteleuropäischen Kulturkreise, bildet eine deutliche Zäsur der kulturellen Entwicklung; man hat den Eindruck, dass erst jetzt die agrarische Produktion voll ausgenutzt und mit all ihren Möglichkeiten eingesetzt wird. Es erstaunt denn auch nicht, dass in dieser Phase erstmals Metallgeräte vorkommen. Zuerst wohl als Symbolgut und Prestigeobjekt verwendet, wird später dann auch eine selbstständige Verarbeitung entwickelt. Mit der Konsolidierung der beschriebenen Kultur scheint die Gesellschaft somit nun auf das Metall vorbereitet gewesen zu sein, es war jetzt offensichtlich ein Bedarf hierfür vorhanden.Die KupferzeitMit dem Beginn der Kupferzeit setzte eine neue, sich insgesamt schnell und progressiv entwickelnde Epoche ein, die durch technologische Neuerungen und die dadurch bedingten sozialen und ökonomischen Veränderungen geprägt wurde. Ursache für diese Umwälzung war letztendlich das Kupfer. Zwar bereits seit einiger Zeit bekannt, wurde es erst jetzt in einem solchen Umfang produziert, dass es wirtschaftliche und kulturelle Geltung erlangte. Die Bedeutung des Kupfers lag dabei weniger in den besonderen Eigenschaften des Materials selbst als vielmehr in den weit reichenden gesellschaftlichen Folgen, die seine Gewinnung und Verwendung verursachten.Voraussetzungen für die Einführung der Metallurgie und die gesellschaftlichen FolgenDie Herstellung von Kupferobjekten war an verschiedene Voraussetzungen gebunden und mit einschneidenden Veränderungen der Wirtschaftsweise verknüpft. Einige theoretische Überlegungen machen dies deutlich. Zur Erkennung von geeigneten Lagerstätten waren Spezialisten (»Prospektoren«) mit großer Erfahrung und entsprechenden Kenntnissen nötig. Das entsprechende Gelände musste in Besitz genommen werden. Dieses war dann teilweise zu roden und für den eigentlichen Erzabbau vorzubereiten, unter anderem durch Anlage von Schächten. Der Erzabbau schließlich erforderte einen fortgesetzten Ausbau der Stollen, verbunden hiermit waren Tätigkeiten wie Wasserbewirtschaftung und Köhlerei. Dies alles erforderte zahlreiche Arbeitskräfte und umfangreiche Materialmengen, vor allem Holz. Es folgte die Aufbereitung der Erze und deren Verhüttung, schließlich der Transport des Rohkupfers. Dessen darauf folgende Verarbeitung, die Produktion der fertigen Geräte und der nun stark intensivierte Handel erforderten zwar nur wenige, dafür aber hoch spezialisierte Arbeitskräfte.Voraussetzung für die Einführung der Metallurgie waren somit die Verfügbarkeit ausreichender Materialmengen, durch Überlieferung über Generationen hinweg entwickeltes Spezialwissen, vor allem aber eine ausreichende Zahl an Arbeitskräften, die für die Erfüllung der neuen Aufgaben von der Subsistenzwirtschaft freigestellt werden mussten. Dies alles hatte immense Auswirkungen für die jeweilige Gesellschaft. Damit der beschriebene Aufwand auch geleistet werden konnte, waren tief greifende Veränderungen erforderlich. Zunächst musste die Produktivität der Nahrungsmittelhersteller erhöht werden, um die für die Erzgewinnung und -verarbeitung freizustellenden Arbeitskräfte ernähren zu können. Schließlich mussten die Landnahme, der Bergbau selbst sowie der Handel organisiert werden. Hierzu bedurfte es leitender Personen oder Institutionen. Verbunden mit der Bildung von Berufsgruppen führte dies zur Schichtung der Gesellschaft. Früher uninteressante Gebiete wurden nun wegen der Lagerstätten bedeutungsvoll. Dadurch konnten Konflikte entstehen, die sicherlich oft nicht nur ein einzelnes Dorf betrafen, sondern ganze Stämme oder Regionen. Dies bedingte dann kompetente Institutionen für die Konfliktlösung, deren Bedeutung z. B. die sehr mächtigen und unabhängigen Bergrichter des Mittelalters anschaulich zeigen.Wie wir bis hierhin feststellen konnten, waren die Konsequenzen der Metallgewinnung und -verarbeitung für Gesellschaft und Kultur derart umwälzend, dass man den Beginn der industriellen Metallurgie als einen Einschnitt bezeichnen kann, seit dem die intensive Metallverarbeitung und alle damit zusammenhängenden Tätigkeiten die gesamte Kultur prägen.Die metallurgischen EntwicklungsphasenDie tief greifende Veränderung der Gesellschaft, die die intensive Metallurgie bewirkte, war nicht die unmittelbare Konsequenz der ersten Kupferproduktion, sondern das Ergebnis einer langen, wechselvollen Entwicklung. Zunächst muss man von den vereinzelt sehr früh auftretenden Metallobjekten, die im Vorderen Orient schon seit dem 9. Jahrtausend v. Chr. zu finden sind, absehen. Hierbei handelte es sich zunächst lediglich um aus gediegenem Kupfer gearbeitete Stücke, die durch Hämmern und Schlagen zu Schmuckformen umgestaltet wurden. Später verbesserte man dann z. B. in Çayönü Tepesi die Verarbeitung gediegenen Kupfers durch Erwärmen und Schmelzen. In dieser als »Initialphase« bezeichneten Periode erkannte man die Eigenschaften des neuen Werkstoffs und begann, ihn materialgerecht zu verarbeiten. In der folgenden »Experimentierphase«, die im Umfeld einer entwickelten, mit hohen Temperaturen arbeitenden Keramiktechnologie zu sehen ist, versuchte man es auch mit einer ersten Verhüttung von Erzen, wie wir dies aus Çatal Hüyük aus dem 6. und aus Südosteuropa aus dem 5. vorchristlichen Jahrtausend kennen. Diese ersten, sporadisch auftretenden Produkte hatten aber noch keine kulturverändernde Wirkung; sie deuten lediglich an, dass der Mensch zwar neue Techniken entwickelt hatte, für ihre breite Anwendung aber noch keine Notwendigkeit bestand und das Umfeld noch nicht dazu geeignet beziehungsweise darauf vorbereitet war. Erst sehr viel später, als die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen gegeben und die sozioökonomische Entwicklung schon so vorangeschritten war, dass Metallprodukte in der Gesellschaft eine sinnvolle Funktion erfüllen konnten, stellen wir eine systematische Verarbeitung von Erzen und Rohkupfer fest.Zunächst aber setzte sich, wie schon erwähnt, die neue Technologie nur zaghaft durch. Man besorgte sich Erzbrocken, verhüttete sie vielleicht noch an einer einfachen Feuerstelle und stellte nur wenige Typen her. Auffällig ist dabei, dass jetzt nicht mehr nur schwere Geräte, sondern auch kleine Beile, Dolche und Schmuck produziert wurden. In dieser Aufbauphase, die wir in der Abfolge der Entwicklungsstufen als Chalkolithikum (Kupfersteinzeit) bezeichnen, verharrte die weiterhin kaum gegliederte Gesellschaft fast ausschließlich auf einer noch jungsteinzeitlichen Kulturstufe. Die Metallverarbeitung kam nur ergänzend zur landwirtschaftlichen Tätigkeit hinzu. Sie veränderte weder die Sozialstruktur grundlegend, noch prägte sie das Kulturbild entscheidend.Die vervollkommneten Kenntnisse und der verbesserte Zugang zu den Rohstoffen führten schließlich dazu, dass Werkzeuge und Waffen aus Metall hergestellt wurden, sofern dieses dazu geeignet war. Intensiv betrieben, bestimmten Erzabbau und -verarbeitung sowie alle damit zusammenhängenden Aktivitäten ab diesem Zeitpunkt das gesamte Kulturbild derart, dass wir von einer »industriellen Phase« sprechen können. Sie setzt im Vorderen Orient mit dem Auftreten der frühen Hochkultur in der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr. ein, in Mitteleuropa mit der entwickelten Frühbronzezeit. Die unterschiedliche Begrifflichkeit dieser Zeitabschnitte überwindend, bezeichnen wir die neue entwicklungsgeschichtliche Stufe, die gemäß den gleichen ökonomischen Entwicklungen definiert ist, regional übergreifend mit dem Begriff Metallikum.Die ersten Metallkulturen in EuropaIn Europa finden wir die ersten Metallkulturen auf der südöstlichen Balkanhalbinsel. Dort verlief die Entwicklung ähnlich wie im Vorderen Orient. Schon in frühneolithischer Zeit wurden kupferhaltige Mineralien bearbeitet, hatten aber keine kulturverändernde Wirkung. Erst als die Bedingungen für eine entwickelte Metallurgie geschaffen waren, als die Gesellschaft darauf vorbereitet war, die hiermit verbundenen soziokulturellen Folgen zu tragen, bildeten sich bedeutende Metallkulturen heraus. In Südosteuropa kam es dabei zu einer rasanten Entwicklung, indem die Gesellschaft sich innerhalb eines halben Jahrtausends von einer rein neolithischen Bodenbaukultur bis an die Schwelle zur Hochkultur entwickelte.Die jungsteinzeitlichen Kulturen, die um 5000 v. Chr. in Südosteuropa existierten, waren auf den überaus fruchtbaren Böden in den großen Flusstälern verbreitet und betrieben intensiven Ackerbau, der Grundlage für die dichte Besiedlung war. Man lebte in eng bebauten Dörfern, die so nah beieinander lagen, dass zwischen den Nutzflächen der Siedlungen kaum ungenutztes Land war. Dies bedeutete, dass jede Zunahme der Bevölkerung und die damit verbundenen Gebietsansprüche ein gewisses Konfliktpotenzial entstehen ließen. Hier bedurfte es dann einer kompetenten, anerkannten und respektierten Institution, die als »Konfliktlösungsagentur« über mehrere Dörfer regierte und ihre Macht auch repräsentieren musste. Wir dürfen dementsprechend davon ausgehen, dass in den dicht besiedelten Flusstälern dieses Raums noch in neolithischer Zeit eine hierarchisch aufgebaute Sozialstruktur entstand. Für die schließlich um 4500 v. Chr. entstehenden Metallkulturen waren damit die kulturellen und sozialen Voraussetzungen gegeben, die die Erzgewinnung und -verarbeitung erst ermöglichten sowie die breite Verwendung von Metallgeräten sinnvoll werden ließen.Unter den beschriebenen Voraussetzungen entstanden somit in Südosteuropa mehrere Kulturen, vor allem die Kodjadermen-Gumelniţa-Karanovo-VI-Kultur, die Sălcužsakultur, die Cucuteni-Tripolje-Kultur und die jüngere Vinčakultur, im Karpatenbecken die Tiszapolgár-Bodrogkeresztúr-Kultur. Sie unterscheiden sich zwar deutlich in den stilistischen Merkmalen, doch sind sie alle mehr oder weniger klar von der Metallverarbeitung geprägt. Die Wirtschaft des gesamten Kulturkreises war hauptsächlich durch den Ackerbau bestimmt, weniger durch Jagd und Tierhaltung. Der Anbau früher Getreidearten wie Einkorn, Emmer und Nacktgerste sowie von Hülsenfrüchten muss sehr intensiv und durchdacht gewesen sein, finden sich doch viele artenreine Getreidereste, die einen getrennten und in geregelter Folge getätigten Anbau belegen.Die herausragendste Erscheinung ist die im Gebiet des heutigen nördlichen Bulgarien und südlichen Rumänien verbreitete Kodjadermen-Gumelniţa-Karanovo-VI-Kultur, kurz KGK-VI-Kultur genannt, die wir stellvertretend für den ganzen Kulturenkomplex beschreiben wollen. Die Bevölkerung lebte wie in der vorangegangenen jungsteinzeitlichen Phase in eng und dicht gebauten Dörfern, die 20 bis 50 Häuser umfassten. Sie waren aus Holzstangen gebaut, die mit Zweigen verflochten und dick mit Lehm verstrichen waren. War ein Haus baufällig oder eingestürzt, baute man auf dem Schutt ein neues, sodass im Laufe der Zeit das gesamte Siedlungsareal allmählich immer höher wurde. Auf diese Weise entstanden die markanten Wohnhügel oder Tells. In Nordostbulgarien wurden die Toten mit reichen Beigaben in großen Friedhöfen bestattet, in anderen Gegenden fehlen uns noch entsprechende Informationen. Die Funde beeindrucken durch ihre ungewöhnliche Schönheit und hervorragende Qualität. Die Keramik ist elegant geformt, reich mit geometrischen und geschwungenen Mustern bemalt und wirkt durch die starke Profilierung metallisch. Neben den üblichen Erdfarben wurde häufig metallisch glänzendes Graphit zur Bemalung verwendet. Von gleich hoher Qualität sind auch die Steingeräte, vor allem die perfekt geschlagenen Silexklingen, die von Spezialisten hergestellt worden sind. Sehr vielfältig sind auch die Geräte aus Hirschgeweih. Die zahlreichen, vor allem in Gräbern vorkommenden Metallobjekte zeigen durch ihre massiven Formen, dass man am Rohstoff nicht zu sparen brauchte. Es gab schwere Beile und große Äxte (Schaftlochäxte), die gewiss auch Rangabzeichen oder Statussymbole darstellten, daneben kleinere Werkzeuge wie Ahlen und Pfrieme. Schmuck wurde aus dem neuen Rohstoff seltener hergestellt. Dieser bestand vielmehr aus dem häufig verarbeiteten Gold. Der Kult spielte eine wichtige Rolle im damaligen Leben. Beleg hierfür sind außerordentlich viele Idole, die aus Knochen, Stein, Marmor oder Ton hergestellt wurden. Im Gegensatz zu den fettleibigen frühneolithischen Frauenstatuetten sind die Idole nun zwar immer noch überwiegend weiblich, doch ist die Darstellung meist schematisch und auf wenige Grundformen reduziert.Aus der Vielzahl der Bodendenkmäler der insgesamt recht gleichförmigen KGK-VI-Kultur ragt ein Monument deutlich heraus. Es ist das einzigartige Gräberfeld von Warna an der bulgarischen Schwarzmeerküste. Dort wurden bis heute 281 Gräber gefunden, die die gesamte Spanne zwischen beigabenlosen und überreichen Prunkgräbern ausfüllen. Neben den üblichen Hockerbestattungen gibt es Teilbestattungen und auch »symbolische Gräber«, in denen nur die Beigaben lagen. Für einige Tote wurde offensichtlich ein komplizierter, zweistufiger Bestattungsritus vollzogen. Sie wurden zunächst an einem anderen Ort aufgebahrt oder in die Erde gelegt und dann später endgültig auf dem Gräberfeld bestattet. Auffällig sind auch die sehr reich ausgestatteten Gräber, die einerseits zahlreiche Prunkwaffen und besondere Statussymbole enthalten, andererseits auch nur mit Idolen und ähnlichen Objekten ausgestattet sind. Die sich hinter diesen Erscheinungsformen verbergenden Riten und Standesunterschiede sind im Einzelnen kaum zu fassen, zu komplex sind Bestattungsformen und Ausstattung. Eines jedoch scheint klar: Es handelt sich bei der Nekropole von Warna um einen zentralen Bestattungsort für eine größere Gemeinschaft, die politische Führer mit eindeutigen Machtinsignien kannte, in der es aber auch religiöse Persönlichkeiten gab, die mit symbolischen Idolen bestattet wurden. Beiden Gewalten stand eine Gefolgschaft zur Seite, die in ebenfalls beigabenreichen Gräbern dokumentiert wird. Alle Indizien deuten somit an, dass hier eine stark differenzierte Gemeinschaft, die hierarchisch gegliedert war, existierte.Diese Interpretation der Gesellschaft kann durch weitere Befunde belegt werden. Wie bereits ausgeführt, bedingte eine entwickelte Metallurgie ein straff aufgebautes, komplex organisiertes Gemeinwesen. In der Tat scheint die KGK-VI-Kultur zumindest an der Schwelle der Bildung eines Staates gestanden zu haben, wenn sie nicht sogar schon als Staat bezeichnet werden kann. Es gibt zahlreiche Indizien, die dafür sprechen. Für die verbreitete Metallverarbeitung standen zentrale Bergwerke zur Verfügung, wie sie in Ai Bunar und Rudna Glava entdeckt worden sind. Die Siedlungen selbst waren zwar einheitlich gebaut, doch gibt es an einigen Fundplätzen besondere Häuser, die auf spezialisierte Werkstätten schließen lassen, sowie Depotfunde mit serienmäßig hergestellter Keramik. Weiter sind einige Häuser aufgrund der darin gefundenen zahlreichen Idole und kultischen Darstellungen als Heiligtümer oder Repräsentationsbauten mit zentraler Bedeutung anzusprechen. Auch der Fernhandel und die weiträumig organisierte Rohstoffversorgung belegen die komplexe Struktur der KGK-VI-Kultur. Schließlich weist das Gräberfeld von Warna darauf hin, dass hier die Vertreter der politischen und sakralen Oberschicht, nebst ihren Gefolgsleuten und einigen »gewöhnlichen« Individuen, bestattet waren. Genau dies ist aber die Struktur, die wir von einem frühen Staat erwarten. Für eine derartige Organisation wird schließlich auch die Kenntnis der Schrift vorausgesetzt. In der Tat wurden in Bulgarien einige Objekte gefunden, die zwar noch nicht echte Schriftzeichen aufweisen, aber variierende Zusammensetzungen von symbolischen Zeichen enthalten und damit eine Vorstufe zur Schrift bilden könnten. Insgesamt sprechen also viele Anzeichen dafür, dass sich die KGK-VI-Kultur an der Schwelle zum Staat befand und eine ungebrochene Weiterentwicklung mit Sicherheit auch dazu geführt hätte, dass sich hier im 4. Jahrtausend v. Chr. ein Staat hätte bilden können. Allein so weit kam es nicht. Die differenzierte Entfaltung dieser Kultur bricht um 3800 v. Chr. ab, vermutlich durch eine Invasion von Nomadenvölkern aus der südrussischen Steppe. Das Schicksal der KGK-VI-Kultur ist aus universalhistorischer Sicht insofern von Bedeutung, als es zeigt, dass frühmetallzeitliche Entwicklungslinien nicht zwangsläufig zu einer Hochkultur führen müssen, es vielmehr auch Rückschritte gab.Die Ausbreitung der Metall führenden Kulturen nach MitteleuropaWichtig für den Prozess der Ausbreitung der Metallurgie zunächst im südlichen Mitteleuropa ist die gegen Ende des 5. Jahrtausends v. Chr. im Raum zwischen der Ungarischen Tiefebene und dem westlichen Österreich verbreitete Lengyelkultur. Zahlreiche Kupfergeräte — ausschließlich Schmuckgegenstände und Ahlen — belegen die Kenntnis der Metallverarbeitung, doch bewirkte diese noch keine ökonomisch grundlegende Umwälzung dieser Kultur. Im Wesentlichen noch neolithisch geprägt, kann sie deshalb bereits als chalkolithisch bezeichnet werden. Die Lengyelkultur ist nicht nur wegen ihrer weiträumigen Verbreitung, sondern auch wegen der einheitlichen Erscheinungsform interessant. Die zahlreichen, aus großen Häusern bestehenden Dörfer überdeckten oft eine Fläche von mehreren Hektar. Ebenso gut erforscht wie die Siedlungen sind die Friedhöfe dieser Kultur. Es sind große Gräberfelder, die neben den Siedlungen liegen und aus einheitlich ausgerichteten Skelettbestattungen bestehen. Besonders auffällig ist die Keramik der Lengyelkultur. Die Gefäßformen sind stets stark gegliedert und verhältnismäßig kompliziert aufgebaut. Beeindruckend ist jedoch die auffällige Bemalung, die aus roten, gelben und weißen Bändern besteht und in breiten Streifen die Gefäße umschnürt oder sie in senkrechte Felder gliedert. Statuetten aus Ton sind durch ihre lang gezogenen, geschwungenen Körper von einer bestechenden Eleganz und dürften wie andere Objekte dieser Art mit dem Ahnenkult zu tun haben. Insgesamt kann die Lengyelkultur als Mittler zwischen den südosteuropäischen Kulturen und den Kulturen am nordöstlichen Alpenrand betrachtet werden. Gerade im westlichen Verbreitungsgebiet sind aus ihr mehrere Nachfolgekulturen hervorgegangen, die für die spätere Ausbreitung der Metallurgie in Mitteleuropa als verantwortlich anzusehen sind.Unter diesen Nachfolgekulturen gibt es eine wichtige Gruppe, die viele aus der Ungarischen Tiefebene importierte Kupfergeräte aufweist: die Jordanow- oder Jordansmühler Kultur. Sie gehört in das nördliche Ausstrahlungsgebiet der Lengyelkultur und war von Niederösterreich bis in den polnischen Raum hinein verbreitet. Leider ist ihre Erforschung noch nicht weit vorangeschritten. So kennen wir zwar einige reiche Gräberfelder und eine Anzahl von Siedlungen, doch gibt es über sie noch zu wenige moderne Untersuchungen. Für das Verständnis der Kupferzeit ist sie aber durch die reichen Metallfunde von Bedeutung. Zu ihrem Fundinventar gehören aus Ostungarn importierte Kreuzhacken, aber auch einige eigenständige Schmuckformen, z. B. Doppelspiralanhänger. Letztere bezeugen, dass in Mitteleuropa zu Beginn des 4. Jahrtausends v. Chr. nicht nur metallene Beile und Äxte verhandelt wurden, sondern dass hier offenbar auch die Technologie der Metallherstellung übernommen wurde.Die jungneolithischen Kulturen im nordalpinen RaumDas nordalpine Jungneolithikum ist ein gutes Beispiel für die Ausbreitung des Metalls in unserer Gegend. Erstmals finden wir in den zu dieser Zeit hier verbreiteten Kulturen eine nennenswerte Kupferbearbeitung, wir können sie deshalb als chalkolithisch ansprechen. Es sind dies in erster Linie die Mondsee- und die Pfyner Kultur; die eng mit ihnen verwandte Altheimer Gruppe im nordöstlichen Bayern stand dagegen noch auf einer mehr jungsteinzeitlichen Stufe.Die Mondseekultur war im Raum des heutigen westlichen Österreich verbreitet und bildete eine Verbindung zwischen dem Karpatenbecken und dem süddeutschen sowie schweizerischen Raum. Ihre Siedlungen lagen auf kleinen Anhöhen und als Pfahlbauten an den Ufern der Seen im Salzburger Land. Die Keramik umfasste doppelkonische Schalen, Krüge, Amphoren und hohe Töpfe mit verziertem Rand, die vermutlich als Wasser- und Vorratsgefäße dienten. Auffällig und typisch ist die Verzierung. Sie ist aus tiefen Ritzlinien hergestellt, wobei das die Furche ziehende Instrument in kurzen Abständen so in den Ton gedrückt wurde, dass eine unterschiedliche Ritztiefe entstand. Man erreichte hierdurch eine bessere Haftung der weißen Masse, mit der man die Verzierung füllte. Die Muster, die sich auf diese Weise hell kontrastierend gegen die dunkel polierte Tonoberfläche abheben, lassen uns erahnen, dass jede Ornamentik nicht nur Zierde ist, sondern stets auch eine für uns jedoch wohl niemals zu erschließende symbolische Aussage beinhaltet. Durch diese markante Verzierung ist die Mondseekultur auch an kleinen Fragmenten zu erkennen, ihr Verbreitungsgebiet damit klar abzugrenzen. Auch die Werkzeuge bezeugen die Originalität dieser Gruppe. Neben den bekannten Steinbeilen wurden schön gearbeitete »Knaufhämmeräxte« gefunden, die Metallvorbilder nachahmen und bestenfalls als Kampfwaffe dienen konnten. Man glaubt deshalb, dass es Statussymbole einer gehobenen Gesellschaftsschicht waren.Von besonderer Bedeutung sind die Metallgeräte der Mondseekultur. In den Seeufersiedlungen wurden ungewöhnlich viele Objekte gefunden, vor allem Flachbeile, Dolchklingen, kleine Spiralen sowie die üblichen Ahlen und Pfrieme. Sie sind genau bestimmbaren, weit verbreiteten Typen zuzuordnen. Da in den gleichen Siedlungen auch Gusstiegel vorkommen, weiß man, dass die Geräte am Ort produziert worden sind. Allerdings war bis vor kurzem nicht bekannt, woher das Erz bezogen und wo es abgebaut wurde. Lange Zeit wurde vermutet, dass schon damals die großen Erzlagerstätten im Ostalpenraum ausgebeutet wurden, daneben unterstellte man Importe aus den fortgeschrittenen Kulturen des Karpatenraumes. Vor kurzem entdeckte man jedoch am Götschenberg im Salzburger Land am Rande des erzreichen Mittelberges in den Siedlungsschichten der Mondseekultur auch Schlacken und Gusstiegel, die den Beweis erbrachten, dass dort auch Erz verhüttet wurde. Neueste Analysen der Kupferobjekte vom Mondsee zeigen zudem, dass nur hier eine bestimmte Kupfersorte verarbeitet wurde, aus der drei Viertel der dortigen Geräte bestehen. Sie kommt sonst nur noch in Einzelstücken im nordalpinen Raum und im nördlichen Mitteleuropa vor und weist einmal mehr auf die intensive Kommunikation in der damaligen Zeit hin. All dies zeigt, dass die Mondseekultur eine sehr entwickelte Gemeinschaft war. Ihr Reichtum beruhte auf dem offenbar sehr begehrten, da weit verhandelten Kupfer. Was jedoch hierfür eingehandelt wurde, ist unbekannt.Die Mondseekultur verdankt ihre Entstehung neuen kulturellen Impulsen aus dem Karpatenraum. Eine wichtige Vermittlerrolle spielte hierbei die in der Umgebung des ungarischen Plattensees verbreitete Balatonkultur. Zu deren Merkmalen gehörte unter anderem die Verwendung des Furchenstichs als Verzierungstechnik und schließlich die Anwendung einer fortgeschrittenen Metallurgie. Wie wir oben gesehen haben, sind bereits aus der Jordanow- oder Jordansmühler Kultur Kupferfunde bekannt, jetzt aber verbreitete sich — wahrscheinlich aufgrund von Anregungen aus dem südosteuropäischen Raum — im südlichen Mitteleuropa eine neue Art der Kupferverarbeitung, nämlich die Verwendung von Arsenkupfer.Zu den jungneolithischen nordalpinen Kulturen gehört auch die gut erforschte Altheimer Gruppe im heutigen Niederbayern. Sie hat viel mit der Mondseekultur gemeinsam, unter anderem die Form der Silexverarbeitung, die Knaufhammeräxte und die Krugformen. Trotz dieser Verwandtschaft kannten die Träger dieser Kultur weder die Furchenstichverzierung noch die Kupferverarbeitung. Da die Altheimer Gruppe an der Peripherie der vom karpatenländischen Raum ausstrahlenden Kulturströmung lag, wurde sie stärker als die südlich benachbarten Kulturen von einheimischen Überlieferungen geprägt. Beispiel hierfür sind Erdwerke wie dasjenige von Kothingeichendorf in Bayern, eine komplexe Anlage aus mehrfachem Wall- und Grabensystem. Offensichtlich hatten diese Erdwerke keine Schutzfunktion, sondern dienten als zentrale Versammlungsorte.Die westlichste und zugleich am besten erforschte Gruppe des nordalpinen Jungneolithikums ist die Pfyner Kultur in der heutigen Ostschweiz. Ihre Ufersiedlungen zeigen, dass die Landnahme gegenüber dem Frühneolithikum erheblich erweitert worden ist. Die Dörfer bestanden nun aus 20 bis 50 Häusern, die jeweils eine Familie beherbergten. Ebenso wie die Mondseekultur kannte die Pfyner Kultur eine ausgeprägte Metallverarbeitung. Beleg hierfür sind zahlreiche Beilklingen, die die gleiche Form haben wie solche aus weiter östlich gelegenen Gebieten. Silexgeräte, Hammeräxte und ähnliche Funde weisen auf weite Handelsbeziehungen hin, und es ist anzunehmen, dass auf diesem Wege auch der Rohstoff für das Kupfer besorgt wurde. Die Fertigprodukte waren sehr begehrt. So kennt man Kupferflachbeile aus der Pfyner Kultur als Importfunde in einigen Siedlungen der Gordayokultur der Mittel- und Westschweiz. Gräberfunde im Bereich der eben betrachteten Kultur fehlen. Vereinzelt auftretende eindeutige Bestattungen sowie Skelett-Teile aus den Gräben der Erdwerke können nicht auf damals gebräuchliche Grabriten hinweisen, sie sind eine Ausnahme. Wir müssen dementsprechend davon ausgehen, dass man die Toten in einer Weise beigesetzt hat, die im Boden keine Spuren hinterlassen hat.Die Wirtschaft des Jungneolithikums unterscheidet sich von den vorangegangenen Zeiten durch einen differenzierteren Anbau, in dem vor allem der ertragreichere und auch anspruchslosere Nacktweizen deutlich zunimmt. Auch die Tierhaltung wurde wichtiger, das am meisten Fleisch liefernde Rind war dominierend. Belege über kultische Vorstellungen gibt es kaum. Wir wissen lediglich durch die Befunde in den Erdwerken, dass Stiergehörne eine entsprechende Bedeutung besaßen. Dieses sowie einige andere Indizien passen zu einem im Balkanraum in dieser Zeit bekannten, durch dualistische Vorstellung geprägten Kult, der sich differenzierter darstellt als der frühneolithische Fruchtbarkeitskult.Das gesamte Jungneolithikum stellt sich uns als recht einheitlicher Zeitabschnitt dar, der in einige nach Keramikstilen unterschiedene archäologische Kulturen aufgegliedert ist. Die fließenden Übergänge zwischen diesen Kulturen, die vielen gemeinsamen Formen und die überregionale Verbreitung von Rohstoffen weisen darauf hin, dass die Kommunikation damals sehr intensiv war, dass regelmäßig Kontakte zwischen den Gruppen stattfanden und ein reger Handel herrschte. Als Beispiel dafür sei etwa die Kupferscheibe von Hornstaad am Bodensee erwähnt, die aus dem Balkanraum stammt und gewiss nicht nur Handelsgut darstellt, sondern auch Symbolträger war.Die vorangehend am Beispiel des nordalpinen Jungneolithikums beschriebene, durch die Entfaltung großer mitteleuropäischer Kulturkreise gekennzeichnete Phase zwischen 4000 und 3300 v. Chr. war von einem kühlen Klima bestimmt, das in der Jahrtausendmitte merklich feuchter wurde und auch zu einem zeitweiligen Auflassen der Seeufersiedlungen führte. Zwischen 3300 und 2800 v. Chr. bildeten sich in Mitteleuropa zahlreiche, in ihren Grundzügen einander sehr ähnliche regionale Gruppen (z. B. diejenigen von Cham und Wartberg,), die ebenfalls auf südosteuropäische Kulturimpulse zurückgehen. Die Menschen siedelten in im Vergleich zur vorherigen Epoche kleineren, gut geschützten Dörfern auf Anhöhen in der Nähe günstiger Verkehrswege. Aufgrund des kühleren Klimas wurde in erster Linie der robustere und genügsamere Emmer angebaut, auch die Gerste nahm stark zu. Bei den Haustieren trat das den schlechteren Bedingungen besser angepasste Schwein in den Vordergrund.Eine Ausnahmestellung innerhalb dieser mitteleuropäischen Gruppen nimmt die Horgener Kultur der Ostschweiz ein. Zwar ist ihre Wirtschaftsform mit derjenigen der benachbarten Kulturen identisch, doch ist das allgemeine, durch lokale Traditionen geprägte Erscheinungsbild wesentlich anders. Zunächst fällt die grobtonige, dickwandige Keramik auf. Die relativ geringe Qualität der Tonware bedeutet jedoch nicht, dass man die Keramikherstellung nicht besser beherrschte, vielmehr bestand keine Notwendigkeit, bessere Ware herzustellen. Die fraglichen Gefäße dienten nur als Kochgeräte, für die übrigen Zwecke bediente man sich bewundernswert gearbeiteter Holzgefäße. Die in den feuchten Böden der Ufersiedlungen mannigfaltig erhaltenen Werkzeuge und ihre Schäftungen bezeugen das große handwerkliche Geschick der Träger der Horgener Kultur. Es gibt elegant gearbeitete Axtholme, beeindruckende Messergriffe oder auch schöne Holzschalen. Durchbohrte Zähne, Steinperlen und Hirschgeweihanhänger bezeugen das Schmuckbedürfnis dieser Menschen.Ein Rohstoff fehlte jedoch in der Horgener Kultur völlig und kam auch in den benachbarten Gruppen nur ausnahmsweise vor. Es ist dies das Kupfer, das in der vorhergehenden Phase immerhin so bedeutend war, dass wir die Kulturen des 4. Jahrtausends v. Chr. dem Chalkolithikum zuordnen konnten. Aus dem Bereich der mitteleuropäischen Gruppen der Zeit um 3000 v. Chr. sind nur ganz wenige Kupfergeräte erhalten. Sie besagen gerade so viel, dass man dieses Material zwar kannte, ansonsten aber Kupfer weder gewann noch verarbeitete, sodass wir diese Kulturen wieder ganz der neolithischen Entwicklungsstufe zuordnen müssen. Wie ist aber dieser Rückgang zu deuten? Da das Kupfer unbestreitbare Vorteile besaß, kann man den Vorgang nicht als einfache Zeiterscheinung erklären, er muss vielmehr zwingende Ursachen gehabt haben. Einige Wissenschaftler sind der Auffassung, dass besonders traditionalistisch geprägte Gemeinschaften den neuen Rohstoff schlichtweg ablehnten und ihn zum Tabu erklärten. Möglichweise ist aber der Grund darin zu suchen, dass es nach der Ausbeutung der leicht zu gewinnenden, bald erschöpften Kupfervorkommen sehr schwierig war, die unzugänglicheren Lagerstätten zu erschließen. Erst langsam, unter Zuhilfenahme neuer Technologien und Innovationen, konnte dann in der 2. Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr. die Metallurgie allmählich wieder an Bedeutung gewinnen, bis sie schließlich ab der entwickelten Frühbronzezeit die gesamte Kultur prägte.Eine neue Ideologie — Die SchnurkeramikZu Beginn des 3. Jahrtausends erschien auf der Bühne der Geschichte ohne Vorankündigung ein neues Phänomen, das ähnlich einer ideologischen Revolution die gesamte Kultur und ihre geistigen Grundlagen veränderte. Dieses Phänomen ist die weiträumig verbreitete, durch schnurverzierte Keramik gekennzeichnete Kultur. Das Verbreitungsgebiet der Schnurkeramik erstreckte sich vom Dnjepr bis an den Rhein, von den Alpen bis nach Südschweden. Innerhalb dieses Gebietes, das größer ist als jeder andere durch eine archäologische Kultur bis dahin in Anspruch genommene Raum, sind die Funde von einer außerordentlichen Einheitlichkeit. Man fragt sich, welche innere Kraft eine Gemeinschaft so bestimmen konnte, dass sie ihre kulturellen Äußerungen in einer derartigen Art hervorbrachte. Es muss sich bei den Schnurkeramikern um eine Gemeinschaft mit strengen Normen gehandelt haben, die offensichtlich eine neue revolutionäre Ideologie, vermutlich ein neues religiöses Denken, einführte und die dann auch nach diesen strengen Grundsätzen lebte. Ein Hinweis hierauf könnte auch die Normung der Grabsitten sein, die noch beeindruckender ist als die Uniformität der Funde und deren stereotype Zusammensetzung.Die Schnurkeramiker bestatteten ihre Toten in Hockerstellung in Erdgruben oder auch in Baumsärgen unter einem Grabhügel. Sie lagen in West-Ost-Richtung, den Blick stets nach Süden gerichtet. Neu ist die geschlechtsspezifisch unterschiedliche Bestattungslage. Die Männer lagen auf der rechten, der »stärkeren« Seite, die Frauen stets auf der linken, der »schwächeren« Seite. Als Beigaben sind Trinkgefäß, etwas Werkzeug und Schmuck bekannt, die Männer erhielten oft noch die Streitaxt, ein damals verbreitetes Statussymbol. Bestattungen, die nicht dieser Norm entsprechen, erweisen sich aufgrund anthropologischer Untersuchungen als solche von Individuen, die eine Sonderstellung einnahmen. Die ausgeprägte Ritualisierung im Grabbrauch gibt Anhaltspunkte über den Inhalt der neuen Ideologie. Gegenüber den vorhergehenden Kulturen spielte in der schnurkeramischen Kultur der Totenbrauch eine herausragende Rolle. Die Jenseitsvorstellungen und damit auch die religiöse Ideenwelt waren sehr ausgeprägt. Die geschlechtsdifferenzierte Bestattung weist auf eine deutliche Rollenverteilung im Leben hin. Gemeinsam mit der Hervorhebung männlicher Statussymbole dokumentiert sie stark patriarchalische Züge. Insgesamt scheint es, dass die schnurkeramischen Grabhügel die Hinterlassenschaften lediglich einer Oberschicht darstellen und dass wir vom »gemeinen Volk« kaum Spuren haben. — Im mitteleuropäischen Kerngebiet sind schnurkeramische Siedlungen bislang unbekannt geblieben. Lediglich in den Randzonen ihres Verbreitungsgebietes, im baltischen Raum, in den Niederlanden und der Schweiz, fanden sich Siedlungsreste, die stets denjenigen der dort jeweils vorhergehenden Kultur glichen. Vermutlich haben sich hier die Schnurkeramiker einerseits an die vorhandenen Strukturen angepasst und hat andererseits die alteingesessene Bevölkerung schnurkeramische Kulturelemente aufgenommen.Das Fundinventar der schnurkeramischen Kultur besteht also zum größten Teil aus Grabbeigaben. Aufgrund der Gebrauchsspuren wissen wir, dass es sich um Alltagsgeräte gehandelt hat. Die Keramik besteht aus wenigen Formen. Ebenso einheitlich ist die charakteristische Verzierung, die durch das Eindrücken gezwirnter Schnüre in den noch feuchten Ton erzielt wurde. Die Schnurverzierungen wurden in mehreren Reihen um den Hals oder die Bauchzone der Gefäße gelegt. Die übrigen Funde unterscheiden sich kaum vom üblichen jungsteinzeitlichen Geräteinventar, hervorzuheben sind nur die bekannten Streitäxte, deren Bedeutung bereits oben erwähnt wurde. Sehr häufig verwendeten die Schnurkeramiker Schmuck: verzierte Scheiben aus Knochen oder Muscheln, durchbohrte Hundezähne, die zu Ketten aufgereiht wurden, zierliche Knochennadeln. Nicht selten findet sich in schnurkeramischen Gräbern auch Kupferschmuck, doch wissen wir noch wenig über dessen Herkunft. Das Erscheinen der schnurkeramischen Kultur um 2900 v. Chr. wird als Ausbreitung einer neuen, von einer bestimmten Gruppe von Individuen getragenen Ideologie verstanden. Die Lebensweise dieser Gruppe kennen wir leider überhaupt nicht. Wir wissen nicht einmal, ob sie eine autonome Gemeinschaft bildete oder ob sie als spezifische Schicht innerhalb verschiedener anderer Kulturen existierte. Etwa um die Mitte des 3. Jahrtausends beginnen sich dann eindeutig selbstständige lokale schnurkeramische Gruppen herauszubilden, die nun auch einige Gegenden dicht besiedeln. Erst jetzt dürfen wir von einer »vollen archäologischen«, schnurkeramischen Kultur sprechen.In gewissem Sinne eine Reaktion auf die Ideologie der Schnurkeramiker war das Auftreten der Glockenbecherkultur. Auch in ihr finden wir Gleichförmigkeiten. Besonders in der östlichen Gruppe wurde streng geschlechtsdifferenziert bestattet, hier jedoch im Vergleich zur Schnurkeramik genau umgekehrt; die Frauen lagen auf der rechten, die Männer auf der linken Seite. Im Bereich der Glockenbecher führenden Gruppen lebten offensichtlich schnurkeramische Gemeinschaften weiter, ihre Existenz ist in den entsprechenden Regionen jedenfalls bis ins 23. Jahrhundert v. Chr. belegbar.Während gegen Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. in Mitteleuropa schließlich die ersten frühbronzezeitlichen Kulturen auftraten (z. B. die Aunjetitzer Kultur), lebte die schnurkeramische Tradition neben diesen bereits durch die Metallurgie geprägten Zivilisationen noch einige Zeit weiter. Eine besondere Spätwirkung entfaltete sie als »Epischnurkeramik« im ostmitteleuropäischen Raum, wo sie zwar zahlreiche frühbronzezeitliche Elemente aufnahm, im Kern aber jungsteinzeitlich blieb. Erst die entwickelte Frühbronzezeit setzte dieser Tradition ein Ende.Prof. Dr. Christian StrahmWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Metallzeit: Metalle verändern die WeltGrundlegende Informationen finden Sie unter:Altsteinzeit: Am Anfang war das FeuerArchäometallurgie der Alten Welt. Beiträge zum Internationalen Symposium »Old World Archaeometallurgy«, Heidelberg 1987, herausgegeben von Andreas Hauptmann u. a. Bochum 1989 (Text deutsch und englisch).Die ersten Bauern. Pfahlbaufunde Europas. Forschungsberichte zur Ausstellung im Schweizerischen Landesmuseum und zum Erlebnispark, Ausstellung Pfahlbauland in Zürich, 28. April bis 30. September 1990, bearbeitet von Markus Höneisen. 2 Bände. Zürich 1990.Die Frühbronzezeit im Karpatenbecken und in den Nachbargebieten. Internationales Symposium 1977, Budapest-Velem, herausgegeben von Nandor Kalicz. Budapest 1981.Hein, Manfred: Untersuchungen zur Kultur der Schnurkeramik in Mitteldeutschland. 2 Bände. Bonn 1987-90.Illustrierte Vor- und Frühgeschichte Europas, herausgegeben von Barry Cunliffe. Aus dem Englischen von Klaus Binder u. a. Frankfurt u. a. 1996.Kilian, Lothar: Zum Ursprung der Indogermanen. Forschungen aus Linguistik, Prähistorie und Anthropologie. Bonn 21988.Körber-Grohne, Udelgard: Nutzpflanzen in Deutschland. Kulturgeschichte und Biologie. Stuttgart 31994.Kruta, Venceslas: Die Anfänge Europas. 6000 bis 500 v. Chr. München 1993.Leroi-Gourhan, André: Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und Kunst. Übersetzt von Michael Bischoff. Frankfurt am Main 21995.Macht, Herrschaft und Gold. Das Gräberfeld von Varna (Bulgarien ) und die Anfänge einer neuen europäischen Zivilisation. Ausstellungskatalog Moderne Galerie, Saarbrücken, herausgegeben von Aleksandr Fol. Saarbrücken 1988.The man in the ice, herausgegeben vom Forschungsinstitut für Alpine Vorzeit der Universität Innsbruck. Auf mehrere Bände berechnet. Wien u. a. 1995 ff. (bis 1996 2 Bände erschienen).Die Menschen der Steinzeit. Jäger, Sammler und frühe Bauern, herausgegeben von Göran Burenhult. Vorwort von Colin Renfrew. Hamburg 1994.Probst, Ernst: Deutschland in der Steinzeit. Jäger, Fischer und Bauern zwischen Nordseeküste und Alpenraum. München 1991.Schlichtherle, Helmut / Wahlster, Barbara: Archäologie in Seen und Mooren. Den Pfahlbauten auf der Spur. Stuttgart 1986.Siedlungen der Steinzeit. Haus, Festung und Kult, herausgegeben von Jens Lüning. Heidelberg 1989.Steinzeit, bearbeitet von Erwin Keefer. Stuttgart 1993.Tell Karanovo und das Balkan-Neolithikum. 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